Behavioral Finance: Der Dispositions-Effekt – die berüchtigtste Falle

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Behavioral Finance: Der Dispositions-Effekt – die berüchtigtste Falle

In unserer kleinen Serie über Behavioral Finance wollen wir als erstes den sogenannten Dispositionseffekt einmal etwas näher beleuchten. Wir haben ihn aus gutem Grund ganz an den Anfang gestellt, da er die wahrscheinlich schwerste und verlustreichste psychologische Falle ist, in die man als Anleger gehen kann – und die, die gleichzeitig am schwersten zu erkennen ist. Am Ende unseres Beitrags verraten wir ihnen dann auch, wie Sie dem Dispositionseffekt bei Ihren Anlagen am besten entgehen können.

Was ist der Dispositionseffekt – und was passiert da?

Der Dispositionseffekt gehört zu einer Reihe psychologischer Effekte bei Finanzentscheidungen, die man unter dem Begriff “Reflection Effect” zusammenfasst. Das grundlegende Kennzeichen beim Reflection Effect ist immer, dass es im Gewinnfall und im Verlustfall unterschiedliches, meist genau gegensätzliches Verhalten gibt. In der Regel ist sowohl das Verhalten im Gewinnfall als auch das Verhalten im Verlustfall dabei eher irrational.

Wir wollen den Effekt nun einmal an einem kleinen Beispiel erläutern:

Sie befinden sich in einer Spielshow. Auf Ihrem Punktekonto befinden sich 30.000 Punkte, die Sie in 30.000 Euro umtauschen können, dazu erhalten Sie dann noch 10.000 Euro Bonus. Der Moderator lässt Ihnen aber zusätzlich die Möglichkeit, eine Münze zu werfen. Bei Kopf bekommen Sie 20.000 Euro zusätzlich, bei Zahl gibt es gar keinen Bonus und sie nehmen nur 30.000 Euro mit nach Hause.

Ihre Wahl ist also: entweder 40.000 Euro sofort mitzunehmen, oder ein Risiko einzugehen und je nach Ergebnis der fallenden Münze entweder 50.000 Euro oder 30.000 Euro mitzunehmen. Wie entscheiden Sie sich?

Tatsächlich neigen in den allermeisten Fällen die Menschen dazu, die “sicheren” 40.000 Euro mitzunehmen, und kein Risiko mehr einzugehen. Wohlgemerkt: nicht alle, aber die allermeisten.

Nun wollen wir das Beispiel umkehren: Sie haben bereits 50.000 Punkte im Spiel ergattert. Wenn Sie Ihre Punkte umtauschen wollen, werden Ihnen 10.000 Euro abgezogen – sie erhalten dann also nur 40.000 EUR ausbezahlt. Auch hier bietet Ihnen der Moderator wieder an, eine Münze zu werfen. Bei Kopf verlieren Sie nichts, bei Zahl werden Ihnen 20.000 Euro abgezogen.

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Wie entscheiden Sie sich?

Hier gehen in Experimenten tatsächlich die meisten Menschen so vor, dass sie anfangen zu spielen. Sie verhalten sich sehr risikobereit, um den “Verlust” von 10.000 Euro möglichst wieder auszugleichen. Es ist also genau das gegensätzliche Verhalten wie im ersten Beispiel.

Rein mathematisch gesehen verhalten sich die Menschen hier völlig widersprüchlich. Denken Sie noch einmal einen Moment über unsere beiden Beispiele nach und legen Sie Ihre Entscheidung noch einmal fest. Und dann sehen Sie sich die Zahlen an. Sie sind absichtlich so gewählt.

Würden Sie in beiden Beispielen “auf Sicher” spielen, würden Sie in beiden Fällen mit 40.000 Euro nach Hause gehen. Würden Sie in beiden Beispielen “auf Risiko” spielen, hätten sie jeweils eine 50:50 Chance auf entweder 50.000 Euro oder 30.000 Euro. WARUM ALSO SPIELT MAN IN EINEM FALL AUF RISIKO, WÄHREND MAN IM ANDEREN AUF SICHER SETZT?

Das genau ist der Dispositionseffekt. Wenn Gewinne in Gefahr geraten, spielt man auf sicher – wenn Verluste drohen, wird man risikobereit.

SELBST DANN, wenn es keinen Unterschied im Ergebnis gibt. Das ist irrational. Erkannt?

Man kann eine risikovermeidende Strategie fahren – dann würde man in beiden Fällen auf sicher spielen. Man kann eine risikofreudige Strategie fahren, dann würde man in beiden Fällen auf Risiko setzen. Aber einmal das Eine und das andere Mal das Andere macht keinen Sinn – erst recht nicht in unserem Beispiel, wo das Ergebnis dann ja das Gleiche wäre.

Wie äußert sich der Dispositionseffekt bei Anlagen?

Ganz einfach: wir versuchen erzielte Gewinne möglichst früh “mitzunehmen”, damit sie nicht wieder kleiner werden. Bei Verlusten hingegen warten wir ab und ab und hoffen, dass sich die Verluste wieder verringern – selbst dann noch, wenn nach technischer Analyse die Verluste eher noch größer werden könnten. Wir “spielen” also.

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Dieses widersprüchliche Verhalten, Gewinne möglichst früh zu realisieren, um nur ja nichts zu verlieren und bei Verlusten enorm risikofreudig weiterzuspekulieren, ist so verbreitet, dass viele es sogar fast für “normal” halten, so zu agieren. Tatsächlich ist es das aber nicht: es ist höchst irrational.

Psychologische Muster hinter dem Dispositionseffekt

Unser Gehirn arbeitet leider nicht immer so zuverlässig, wie wir uns das wünschen. Es bewertet Dinge oft aus unerfindlichen Gründen recht unterschiedlich, selbst wenn sie gleich sind. Das nennt man in der Psychologie Heuristiken, ein Effekt, auf den wir in einem anderen Beitrag genauer eingehen wollen.

In diesem Fall ist es so, dass der erste Gewinn für unser Gehirn besonders “bedeutsam” ist – die nächsten 10 % Gewinn freuen uns dann auch noch, danach wird der “Kick” bei jedem weiteren Gewinn immer schwächer. Wenn uns Gewinne nicht mehr so bedeutsam erscheinen, wollen wir sie lieber realisieren, um sie möglichst nicht zu gefährden.

Bei Verlusten ist es genau umgekehrt: der erste Verlust ist ein schwerer Schock, danach gewöhnen wir uns nach und nach an das Minus. -25 % und -35 % nehmen wir dann schon relativ gelassen hin, wir versuchen durch das Zuwarten allerdings wieder Gewinn zu machen.

Jeder Gewinn – als Umkehr des Trends – würde von unserem Gehirn übermäßig hoch bewertet werden, so wie die ersten Gewinne im oberen Beispiel. Auf diesen Kick sind wir bereit zu warten und nehmen dabei die Verluste subjektiv nicht mehr so schockierend wahr wie die ersten Verluste – wir gewöhnen uns daran. Und solange wir zuwarten, ist der Verlust noch nicht “real” – sondern existiert erst einmal nur auf dem Papier, bzw. auf dem Bildschirm. Erst wenn wir diesen Verlust realisieren, wird er (schmerzhafte) Wirklichkeit – darum schieben wir das so lange hinaus, wie wir können und pflegen unsere Hoffnung, dass es noch besser wird. Bis dann nicht selten Totalverlust eintritt.

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Kann man den Dispositionseffekt verhindern?

Die meisten Anleger bemerken den Effekt gar nicht. Da sich ihre subjektive Bewertung von Gewinnen und Verlusten verändert, glauben sie, dass sie durchaus rational handeln. Im Grunde sind jedoch ihre Bewertungen verzerrt und damit auch das Handeln streng genommen immer irrational.

Eine Strategie, die sehr gut hilft, um dem Dispositionseffekt zu entkommen, ist, sich schon von vornherein klare, unumstößliche Regeln zu setzen, ab wann man Verluste realisiert. Stop-Loss-Orders sind ein gutes Mittel dafür, nicht Opfer falscher Hoffnungen oder verzerrter Bewertungen zu werden. Ab einer bestimmten Höhe werden Verluste realisiert. Punkt. Daran, wie schwer einem das oft fällt zu akzeptieren erkennt man, wie stark der Effekt unser Denken häufig beeinträchtigt.

Gewinne nicht zu realisieren kann eine Menge Angst machen, wieder alles zu verlieren. Diese Angst muss man aushalten können – am besten indem man sich von vornherein einen festen Anlagehorizont setzt. In anderen Fällen sollte man sich davor hüten, Gewinne zu früh zu realisieren oder immer schon kleine Gewinne “mitzunehmen”. Dazu gehört schon etwas Selbstdisziplin – in den meisten Fällen zahlt es sich aber auch finanziell aus, Gewinne sinnvoll laufen zu lassen.

Beobachten Sie sich einmal selbst in Ihren Reaktionen auf Gewinne und Verluste – und versuchen Sie zu entdecken, wo Ihnen Ihre Wahrnehmung einen Streich spielt und Sie Dinge nicht mehr ganz rational wahrnehmen. Der Dispositionseffekt ist eine der kniffligsten Fallen beim Traden, vor allem, wenn es um die zu nachlässige und zu risikofreudige Haltung bei Verlusten geht. Die Fehlbewertungen haben schon viele Anleger in enorme Verluste bis hin zum Totalverlust geführt, vieles davon wäre durch rechtzeitige Erkenntnis noch gut vermeidbar gewesen.

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