Viel Lärm um die Libra – was man bei der Komplementärwährung aber unbedingt bedenken sollte

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Fotolia.com © Eisenhans #201054245

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Die Vorstellung ist schon bestechend: Ein rein handybasiertes Bezahlsystem, mit dem wir in unserem Alltag alles überall bezahlen können – auch online. Dazu eine unabhängige, wertstabile Komplementär-Währung, die nicht an einen Staat und seine Wirtschaftspolitik gekoppelt, sondern einfach frei ist und daneben auch vor böswilligen Manipulationen weitgehend geschützt ist. Und jede Menge technischer Möglichkeiten, die unser Leben deutlich leichter machen können und vieles automatisieren – Stichwort Smart Contracts. Mit genau dieser bestechenden Vorstellung macht Facebook gerade Werbung mit seiner angedachten Facebook-Währung Libra. Wie immer ist – wie wir als erfahrene Anleger und nüchterne Realisten wissen – nicht immer alles Gold, was glänzt. Ein paar Dinge sollten einen bei solchen Komplementär-Ideen schon auch nachdenklich machen. Wir haben die Vor- und Nachteile der geplanten Facebook-Währung einmal umfassend einander gegenüber gestellt.

Bargeld wird obsolet – oder soll es zumindest werden

Geht es nach dem IWF, brauchen wir schon längst kein Bargeld mehr. Nach Ansicht vieler Experten ist Bargeld ohnehin nur ein Mittel für zwielichtige Zwecke: für Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Kriminelle und Terroristen. Das ist natürlich eine haarsträubende Ansicht – die weit an der Wirklichkeit vorbeigeht. Dennoch wird sie von vielen Experten vehement vertreten.

Einige Staaten haben sich schon auf den Weg gemacht, um den letzten Scheinen und Münzen in den nächsten Jahren endgültig den Garaus zu machen – sie sollen mit diversen Bezahlsystemen, zum Teil auf Karte und zum Teil am Handy, restlos ersetzt werden. Allen voran präsentiert sich Schweden als ein Vorreiter dieser Technologie – dort lassen sich allerdings auch gerade jeden Tag eine Menge weiterer Menschen einen Transponder-Chip unter die Haut an der rechten Hand einpflanzen, mit dem sie dann das Fitness-Studio betreten oder mit der U-Bahn fahren können. In anderen Ländern dagegen, wie in Österreich beispielsweise, möchte man so etwas auf keinen Fall. In der Alpenrepublik wurde jüngst sogar das Recht auf Bargeld in der Verfassung niedergeschrieben – damit nur ja keiner kommt und es einfach abschafft.

Insgesamt gesehen denken allerdings viele Staaten darüber nach, Bargeld abzuschaffen und durch rein virtuelles Geld zu ersetzen. Irgendwann in Zukunft gehen uns also wahrscheinlich an den meisten Orten dieser Welt die Scheine abhanden und wir werden allesamt zum Homo Chartagensis, dem kartenzahlenden Menschen.

Wenn man schon alles auf elektronischen Geldtransfer umstellt, liegt natürlich der Schluss nahe, dass wir mit einem weltumspannenden alternativen System auf Blockchain-Basis, das nicht mehr an einen einzelnen Staat gekoppelt ist, am besten fahren würden. Dieser Gedankengang ist logisch und schlüssig – zudem würden gerade Blockchain-Systeme auch ein gewisses Maß an Betrugssicherheit für die Nutzer bedeuten.

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Was sich Facebook überlegt hat

So weit möchte es Facebook mit seiner virtuellen Währung Libra allerdings nicht treiben. Sie ist als reine Komplementärwährung gedacht, die zwar staatenunabhängig ist, nicht aber das herkömmliche Währungssystem ersetzen soll. Die Libra soll lediglich eine Ergänzung zu herkömmlichen nationalen Währungssystemen sein. Sie könnte auch einen Übergang zu vollständig elektronischem Bezahlen und der Abschaffung von allen Formen von Bargeld sein.

Abgesichert soll die Währung in ihrem Wert durch einen Währungskorb aus unterschiedlichen nationalen Währungen werden. Da viele unterschiedliche nationale Währungen in diesem Korb liegen, haben Veränderungen beim Wert einzelner Währungen auf den Wert und die Kaufkraft der Libra dann nur wenig Einfluss. Grob gesagt spielt es nur eine geringe Rolle, ob der Euro gerade über dem Dollar liegt oder umgekehrt, da beide im Währungskorb vorhanden sind.

Nutzer können mit ihrer Landeswährung Libra Coins kaufen und damit überall blitzschnell elektronisch bezahlen oder Geld in Bruchteilen von Sekunden überweisen. Gegenüber dem heutigen Bankensystem stellt das natürlich einen großen Vorteil dar, der sich umso mehr auf bestimmte Schwellenländer auswirkt, in denen Banküberweisungen an andere Staaten meist kompliziert, aufwendig, teuer und vor allem enorm zeitraubend sind. Können Zahlungen von Schwellenländern aus einfach und in Sekundenschnelle abgewickelt werden, erleichtert das sowohl den Konsumenten als auch den Unternehmern in diesem Land den Zugang zu internationalen Märkten erheblich.

Technisch soll hinter dem ganzen System eine dezentrale Blockchain-Technologie ganz ähnlich wie beim Bitcoin liegen. Das schafft hohe Manipulationssicherheit, Nachvollziehbarkeit aller Transaktionen – erfordert allerdings bei so riesigen Nutzerzahlen, wie Facebook sie anstrebt, eine schier unglaubliche Rechenleistung. Das wird bei solchen Systemen häufig übersehen. Allein das Mining von Bitcoins verursacht heute bereits den selben Stromverbrauch, wie ihn ganz Argentinien hat. Dabei ist die Zahl der Bitcoin-User, gemessen am möglichen Potenzial bei Facebook, verschwindend gering.

Zusätzlich werden auch sogenannte Smart Contracts möglich: Das sind maschinell und völlig automatisch ausgelöste Transaktionen, die aufgrund eines bestimmten, hinterlegten Vertrags ausgeführt werden. Kommt ein Flug beispielsweise verspätet an, könnte entsprechend festgelegter Rechenregeln direkt die Höhe der fälligen Entschädigungen berechnet und automatisch auf die Accounts der mitfliegenden Passagiere überwiesen werden, ohne dass dafür irgendjemand auch nur einen Finger krümmen müsste.

Mit an Bord bei dem ganzen Projekt sind übrigens so maßgebliche Unternehmen wie Pay Pal, Spotify, Vodafone, Visa, Mastercard, eBay, Uber und Coinbase. Die weniger bekannten Unternehmen Stripe, Lyft und Kiva gehören ebenso dazu.

Die Vorteile

Die Vorteile eines elektronischen Bezahlsystems leuchten sicher jedem von selbst ein. Auch die zahlreichen denkbar möglichen Einsatzgebiete für ein wirklich weithin genutztes Smart Contract System (durch die hohe Zahl der Nutzer und damit auch die Bereitschaft von Unternehmen, Smart Contracts anzubieten) erscheint auf den ersten Blick durchaus einmal sehr vorteilhaft. Dass der Zugang zu vielen Leistungen der entwickelten Märkte vor allem für Menschen in Schwellenländern so überhaupt erst möglich wird, steht außer Frage. Wenn es um den Versand von Waren an Endkunden in Schwellenländern geht, muss sich allerdings dann auch erst einmal die Logistik auf das selbe Niveau hin wie das Bezahlsystem entwickeln – das ist aber wahrscheinlich machbar.

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Die Absicherung des Kaufkraft-Wertes durch den internationalen Währungskorb erscheint zunächst einmal plausibel und sinnvoll. Schwankungen bei einzelnen Währungen haben dann nur wenig Auswirkungen auf den Wert der Libra.

Die Nachteile

Bei dem ganzen Konzept muss man allerdings auch einige Punkte hinterfragen. Der erste, für Nutzer relevante Punkt ist bereits einmal die fehlende Anonymität. Nutzer müssen sich zwingend zuvor mit einem amtlichen Dokument ausweisen, um das Bezahlungssystem von Facebook nutzen zu können. Damit ist ein User – sowohl als Bezahlungsempfänger als auch als Zahlender – jederzeit eindeutig und unzweifelhaft identifizierbar. Stellt der Bitcoin eine anonyme Bezahlmöglichkeit dar, ähnlich wie Bargeld, ist die Libra dann ein komplett gläsernes Bezahlsystem. Unnötig zu sagen, dass eine Verknüpfung aller Bezahldaten mit anderen Nutzerdaten der teilnehmenden Dienste, wie etwa den Facebook-Daten des Benutzers oder der gebuchten Uber-Fahrten kaum zu verhindern sein wird. Wer am Ende dann Zugang zu diesen Daten bekommt ist nie ganz klar – und für Nutzer überhaupt nicht mehr kontrollierbar.

Zudem gelingt es den teilnehmenden Unternehmen durch gemeinsame Veränderung der Zugangsbedingungen zum Konsortium (derzeit erforderliches Kriterium ist die Zahlung von 10 Mio. USD) unliebsame Konkurrenz wirksam auszuschließen und damit die eigene marktbeherrschende Stellung in jedem Fall zu sichern. Das käme einer Art Machtmissbrauch gleich und würde möglicherweise eine sehr negative Monopolisierung begründen, wobei für kleine Unternehmen starke Wettbewerbseinschränkungen bestehen.

Auch im Hinblick auf die Währungssicherheit ist nicht alles so einfach, wie es scheint. Der Preis für die Libra Coins hängt ganz wesentlich vom Kurs der jeweiligen Landeswährung ab, in der sie bezahlt werden. Hat die Landeswährung einen geringen Wert gegenüber anderen Währungen oder treten Währungsverluste ein, werden die Libra Coins unverhältnismäßig teuer, auch die Gebühren fallen dann durch die geringe Kaufkraft der Landeswährung gleich noch höher aus. Das Wechselkursrisiko besteht – vor allem für Schwellenländer mit häufig abgewerteten nationalen Währungen – also in durchaus beträchtlichem Umfang. Vor dem Problem steht allerdings jeder, der mit Währungen bezahlt, die nur in geringem Umfang im Währungskorb vorhanden sind – er muss bei der Transaktion, dem Ankauf der Libra Coins, quasi eine Menge Fremdwährung kaufen. Zusätzlich muss auch ein Bankkonto für den Kauf von Libra vorhanden sein – was auch nicht in allen schwach entwickelten Ländern bei jedem beliebigen Bürger der Fall sein dürfte.

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Libra bleibt dabei der Kontrolle von Einzelstaaten komplett entzogen. Auch den Wert der Währung reguliert das Libra-Konsortium, das am Anfang möglichst aus hundert großen Unternehmen bestehen soll, ganz allein durch Veränderungen im Währungskorb. Dabei unterliegt es keiner wie auch immer gearteten staatlichen oder internationalen Kontrolle, auch nicht bei schwerwiegenden Wirtschafts- und Währungskrisen. Auf die Libra kann kein Staat Einfluss nehmen. Libra Coins werden dabei zusätzlich mit gängigen nationalen Währungen nur gehandelt, nicht direkt umgetauscht. Das kann durchaus recht massiv zum Vorteil von Facebook und zum Nachteil der Nutzer und Staaten gestaltet werden. Bei einem Bank Run werden zudem die Reserven so angelegt, dass es möglicherweise oder sogar sehr wahrscheinlich zu erheblichen Verlusten für die Nutzer kommt.

Durch die Marktmacht der teilnehmenden Konzerne in ihrem jeweils eigenen Bereich und die enorm hohe Zahl von mehreren Milliarden Facebook-Nutzern entsteht natürlich eine gewaltige, allumfassende Marktmacht. Diese dann auch finanziell spürbare Macht könnte sich bei unbedachtem Einsatz sehr wohl stark negativ auf das weltweite Finanzsystem auswirken und auch schwerwiegende destabilisierende Effekte ausüben. Staaten haben nach Einführung der Libra zudem nur noch eingeschränkte Kontrolle über das weltweite Finanzsystem und auch die Zentralbanken werden in ihrem Einfluss stark geschwächt. Das kann wünschenswert sein – aber sich auch sehr negativ auswirken.

Fazit

Die Idee ist im Ansatz gut – ganz unproblematisch ist sie aber nicht. Bevor so etwas wie die Libra Wirklichkeit wird, sollte mit Gesetzen, Verträgen und einem höheren Datenschutz-Standard und Schutz gegen Datenmissbrauch bei den Usern noch einmal deutlich nachgebessert werden. Vor allem die Auswirkungen auf die weltweite Währungspolitik und mögliche schädliche Effekte müssen zwingend sehr genau untersucht werden und negative Folgen möglichst umfassend ausgeschlossen werden. Das setzt auch zwingend zumindest eine gewisse Regulierung von dritter Seite voraus, auch wenn Facebook das verständlicherweise nicht wünscht.

Ansonsten kann die freundliche Komplementärwährung im schlimmsten Fall der Anfang von einem möglicherweise sehr bösen Ende werden.

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