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Risikobewertung für Kleinanleger

Wie wir schon im letzten Beitrag zur Behavioral Finance gezeigt haben, ist unsere (menschliche) Fähigkeit zur Einschätzung von Chancen und Risiken ganz besonders bei Asymmetrien sehr schwach ausgeprägt. Psychologische Effekte und Wahrnehmungsverzerrungen, die vor allem die Risikobewertung erschweren, treten hier besonders häufig und in besonders schwerwiegender Weise auf. Dennoch müssen wir in der Lage sein, bestehende Risiken vernünftig und möglichst zutreffend einschätzen zu können. Wie das als Kleinanleger gelingen kann, wollen wir in unserem Beitrag einmal umfassend beleuchten.

Klassische Risikobewertungs-Modelle zu aufwendig

Klassische Wege der Risikobewertung, wie sie institutionelle Anleger ausführen, eigenen sich für Kleinanleger nur bedingt bis gar nicht.

Schon den Value-at-Risk (VaR) eines Portfolios zu berechnen, erfordert solide mathematischen Kenntnisse und einen zum Teil hohen Rechenaufwand. Das können in dieser Form wahrscheinlich die wenigsten Kleinanleger leisten.

Der VaR gibt als Ergebnis der Risikobewertung am Ende dann Ergebnisse an – in der Form: “Verluste des Portfolios X werden bei einer Haltedauer von Y Tagen einen Wert von Z Euro mit einer Wahrscheinlichkeit von XY % nicht überschreiten”.

Das ist natürlich ein Ergebnis, wie wir uns das – auch als Kleinanleger – wünschen würden. Nicht umsonst ist der VaR in der gesamten Finanzwirtschaft das Risikomaß an sich, das praktisch überall verwendet wird. Wir können damit dann eine ganz klare Aussage treffen, dass unsere Verluste während des Anlagezeitraums mit einer XY-prozentigen Wahrscheinlichkeit (oft über 95 %) nicht höher sein werden als der errechnete Betrag. Damit kann man kalkulieren. Die verbleibende Unsicherheit ist zudem erträglich.

Das Problem beim Value-at-Risk ist allerdings, erst einmal dorthin zu kommen. Das gelingt mit verschiedenen mathematischen Modellen – dafür muss man allerdings alle Faktoren sorgfältig (und fachgerecht) berücksichtigen und eine ganze Menge rechnen. Die Berechnungen sind äußerst kompliziert und beinhalten solche kryptischen Dinge wie “das QuantilStandard-Normalverteilung“. Wer mit solchen Begriffen nichts anzufangen weiß, hat auch bei der Berechnung äußerst schlechte Karten – er wird sie nicht zustande bringen.

VaR aus historischen Daten

Eine Methode, sich die ganze Rechnerei und die mathematischen Modelle zu ersparen, ist den VaR aus historischen Daten einer Anlage herzuleiten.

Das ist immerhin ein – für den engagierten und gerne auf mathematisch-rationaler Basis handelnden – Kleinanleger ein noch einigermaßen gangbarer Weg.

Das Prinzip ist hier einfach: Man betrachtet eine möglichst große Zahl von Einzelwerten (etwa Tageskurse einer Aktie) über einen möglichst großen Zeitraum hinweg. Wenn man eine gut rechenbare Anzahl von Werten annimmt (etwa 100 oder 1.000) kann man dann eine gedankliche Linie dort ziehen, wo die meisten Werte liegen. Alle “Ausreißer” nach oben kann man dabei ignorieren – höhere Gewinne als erwartet brauchen einem nicht unbedingt Sorgen zu machen.

Die Ausreißer nach unten zählt man dann und setzt sie ins Verhältnis zu den Werten, unter die man die gedankliche Linie gezogen hat.

Ein vereinfachtes Beispiel:

Von 1.000 Werten, die man betrachtet, liegen nur 15 Werte unterhalb von 23,40 Euro. Daraus könnte man jetzt grob folgern, dass mit 98,5 % Wahrscheinlichkeit der Kurs der Aktie nicht unterhalb von 23,40 Euro liegen wird. Sieht man sich den Bereich an, in dem die meisten Werte liegen, kann man von dort ausgehend ebenfalls grob abschätzen, wie groß die Verluste höchstwahrscheinlich maximal werden können.

Das ist natürlich mathematisch alles andere als exakt und lediglich eine grobe Schätzung – es ist aber immerhin das gleiche Prinzip, nach dem auch der VaR funktioniert.

Da man für das eigene, individuelle Portfolio meist nicht genug historische Daten zur Verfügung hat, wird man die Risiken der einzelnen Bestandteile jeweils einzeln für sich abschätzen und am Ende addieren müssen (dabei nicht vergessen, den Anteil des jeweiligen Einzelwerts zu berücksichtigen).

Wie gesagt liefert die Methode aber nur grobe und keinesfalls mathematisch exakte Anhaltspunkte. Sie ermöglicht nur eine näherungsweise Einschätzung des individuellen Risikos.

Risiko-Klassen bieten zumindest eine grundlegende Orientierung

Eine noch gröbere Orientierung, die aber immerhin “amtlichen” Berechnungsgrundlagen folgt, ist die Risiko-Klassifizierung für Anlagen.

Online-Broker und Banken sind verpflichtet, für Kleinanleger eine Beurteilung von Anlagemöglichkeiten nach einem bestimmten Schema vorzunehmen.

Insgesamt gibt es dabei 5 verschiedene Risikoklassen, in die Anlagen eingeteilt werden:

Klasse 1 – sehr geringes Risiko – für stark sicherheitsbewusste Anleger – Festgeld, Tagesgeld, Pfandbriefe oder Bausparverträge, dementsprechend geringe Renditechancen.

Klasse 2 – geringes Risiko – für konservative Anleger – meist festverzinsliche Papiere oder Anleihen mit hoher Bonität, (deutsche) Rentenpapiere, auch einige Immobilienfonds

Klasse 3 – gewinnorientierte Anleger- Rentenfonds, Aktienfonds oder Mischfonds, Aktien großer europäischer Unternehmen (z.B. BMW), Währungsanleihen mit hoher Bonität – gute Renditechancen, Kursschwankungen und damit leichte Verluste sind aber möglich.

Klasse 4 – risikofreudige Anleger – direkte Investition in verschiedene, auch ausländische Aktien und Vermögenswerte sowie in Zertifikate – Renditen über dem Marktdurchschnitt sind hier möglich, allerdings können auch entsprechend höhere Verluste auftreten

Klasse 5 – hoch spekulative Anleger – alle Anlagen, bei denen Hebel eingesetzt werden (Leverages), verschiedene Finanzinstrumente (z.B. Optionsscheine oder Futures), Investments in Werte in Emerging Markets – sehr gute Renditen aber auch Verluste bis hin zum Totalverlust sind möglich.

Das alles scheint sehr allgemein und wenig aussagekräftig – für den einen oder anderen mag diese Aufstellung aber hilfreich sein, um wieder die richtige Perspektive zu gewinnen, wo er mit seinem Risiko steht. Den “todsicheren Tipp” beim Optionshandel gibt es nicht, ebenso wie man bei Emerging Markets Aktien gehörige Risiken einkalkulieren muss.

Diversifikation und Portfolio-Analyse nach Markovwitz

Die Kategorisierung nach Risikoklassen kann man auch zur einfachen Portfolio-Optimierung verwenden. Der grundlegende Ansatz dafür stammt aus den 50er Jahren von Harry M. Markowitz. Er lautet simpel: “Packe nie alle Eier in einen Korb. Verteile deine Anlagen auf unterschiedliche Risikoklassen“.

Mittlerweile hat sich das auch bei Kleinanlegern herumgesprochen – wirklich neu ist der Ansatz also nicht. Seinen Nobelpreis bekam Harry M. Markowitz 1990 deshalb auch für tiefschürfendere ökonomische Arbeiten.

Moderne Portfolio-Analysen

Im Bereich des Aktienmarktes kann man auch nach verschiedenen anderen Kriterien Risiken und Ertragschancen bestimmen – etwa nach Produktlebenszyklen.

Ein Produkt wird zunächst entwickelt und auf den Markt gebracht. Dabei entstehen nur Kosten für das Unternehmen, aber kaum Gewinne. In der nächsten Phase hat das Produkt Fuß gefasst und es kommt zu einer weiteren Verbreitung und einer Eroberung der Märkte. In dieser Wachstumsphase verdienen Unternehmen das meiste Geld. Mit der Zeit ist der Markt gesättigt, die ersten Mitbewerber werden mit ähnlichen, günstigeren oder besseren Produkten langsam erfolgreich. Die Gewinne nehmen ab. In der letzten Phase des Produktlebenszyklus werden keine Gewinne mehr realisiert, es sind – wie am Anfang – aber die Kosten für Service, Garantieleistungen und Ersatzteillieferung zu tragen, bis das Produkt endgültig vom Markt verschwindet.

Bei Aktien von Unternehmen kann man diesen Produktlebenszyklus mit Unternehmensgewinnen in Verbindung bringen und durch sorgfältige Analyse der Produktphasen für einzelne Produkte recht gut herausfinden, wann Aktien ein größeres Risiko für Kursverluste haben.

Das ist der Ansatz der Boston Consulting Group (BCG-Matrix), den man oft sinnvoll anwenden kann. Mehr dazu können Sie auch hier nachlesen: https://de.m.wikipedia.org/wiki/

Die Portfolio-Analyse von McKinsey ist etwas umfassender ausgelegt und berücksichtigt auch mehr Einflussfaktoren. Die Phasen des Produktlebenszyklus werden überdies genauer betrachtet. Mehr über diese Variante der Portfolio-Analyse können Sie hier nachlesen. https://www.controllingportal.de/Fachinfo/Grundlagen/

Alle diese Methoden sind natürlich nur dafür geeignet, mögliche und künftige Risiken besser abschätzen zu können – sie liefern keine konkreten Zahlen als Ergebnisse wie der VaR – aber sie liefern immerhin Anhaltspunkte dafür, wo eventuell Risiken lauern können.

Basisinformationen über Anlageprodukte

Ab 1. Januar 2018 ist eine neue EU-Verordnung
(2017/653) in Kraft, die eine erweiterte Kennzeichnung von sogenannten “verpackten” Anlageprodukten für Kleinanlegerfordert.

Die Basisinformation muss für Kleinanleger gut verständlich und lesbar sein, Anlagepolitik und –strategie müssen nachvollziehbar offengelegt werden – aber noch viel wichtiger: die wichtigsten Risiken (MarktrisikoLiquiditätsrisiko und Kreditrisiko) müssen nach gesetzlicher Vorgabe auch numerisch in einen Gesamtrisiko-Indikator einfließen, damit man verschiedene Anlageprodukte als Kleinanleger besser vergleichen und die einzelnen Risiken besser verstehen kann.

Interessant ist hierbei vor allem der Risiko-Indikator: Man kann die Indikatoren verschiedener Anlageprodukte unter Umständen auch dazu verwenden, um die Risiken des eigenen Portfolios besser abschätzen zu können, indem man Risikobewertungen vergleicht. Dazu braucht man nur die Basisinformationen von unterschiedlichen Anlageprodukten zu studieren. Auch das kann manchmal ein gutes Mittel sein, um die Risiken der eigenen Anlage besser einzuschätzen.

Klassische Portfolio-Risiko-Analyse von der Uni

Last-But-Not-Least: Die Abteilung für Behavioral Finance der Uni Mannheim bietet auf ihrer Webseite einen Risiko-Simulatorfür Portfolios von Privatanlegern an.

Durch die Simulation ist man besser in der Lage, sich mit dem eigenen Risiko-Verhalten und dem eigenen Risiko-Profilnachhaltiger auseinanderzusetzen – das wurde in einer Studie mit Anlegern deutlich belegt.

Auch das kann ein Ansatz sein, zukünftig mit Risiken besser umzugehen und bessere und rationalere Entscheidungen zu treffen. Der Simulator findet sich hier: http://simulator.behavioral-finance.de/#!/

Fazit:

Risiken rationell einzuschätzen, fällt uns aus vielerlei Gründen schwer. Klassische Risikobewertungsmodelle, wie professionelle und institutionelle Anleger verwenden, sind für Kleinanleger zu sperrig und erfordern zu viel Rechenarbeit und überdies ein gerüttelt Maß an finanzmathematischen Kenntnissen.

Das individuelle Risiko für das eigene Portfolio in klaren Zahlen zu bewerten, wird also in den wenigsten Fällen möglich sein. Über verschiedene Ansätze aus dem Controlling und der Portfolio-Analyse kann man den tatsächlichen Risiken bei der eigenen Anlage aber immerhin schon einmal näher kommen. Auch ein Tool der Uni Mannheim hilft recht wirksam dabei, Risiken besser einschätzen zu können.

Ein Risiko, das Sie übrigens recht leicht eliminieren können, ist das Risiko zu hoher Kosten und Gebühren, die mit Zinsen und Zinseszinsen auf lange Sicht Ihre Gewinne deutlich schmälern können: Machen Sie einfach unseren kostenlosen und idividuellen Broker-Vergleich!

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