Doch zu viel des Guten? Warum ETFs für viele jetzt plötzlich “böse” sind

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Doch zu viel des Guten? Warum ETFs für viele jetzt plötzlich “böse” sind

Man sollte gar nicht glauben, welchen Effekt ein wenig “Werbung” haben kann. Erst in den letzten Jahren wurden die Vorteile von ETFs besonders für Kleinanleger und alle, die sich nicht intensiv mit der Börse und ihren vielen schwierig zu verstehenden Zusammenhängen befassen wollen, bekannt. Die Vorteile von ETFs liegen dabei auf der Hand. Passives Investieren ist eine empfehlenswerte Strategie für viele, die nicht die Zeit und das Wissen haben, sich intensiv und ständig mit ihrer Geldanlage zu beschäftigen. Leider ist die Strategie so gut, dass plötzlich eine enorme Menge von Kapital in Indexfonds steckt – was Fachleute wiederum sorgenvoll die Stirn runzeln und das gar nicht gut finden lässt. Viele Kleinanleger verunsichert das. Wir sehen uns die Argumentationslage einmal genauer an.

Die nicht erwähnte Zäsur

Eine echte Zäsur ist es immerhin. Zum ersten Mal in der Geschichte und als Ereignis undenkbar, haben ETFs volumenmäßig die aktiv gemanagten Fonds tatsächlich überholt. Notiz genommen hat davon niemand so wirklich – obwohl das eigentlich wirklich unerhört ist. Selbst Morningstar hat das allerdings eher als so eine Art “Randnotiz” abgehandelt.

Wenn ETFs, wie in den USA, aber über 50 % des investierten Vermögens ausmachen, bedeutet das natürlich eine nicht zu unterschätzende Marktmacht. Weltweit sind das 5 Billionen USD, die in passiven Indexfonds stecken.

Der Boom liegt natürlich daran, dass ETFs einige nicht von der Hand zu weisende, klare Vorteile für den einzelnen (Klein-)Anleger haben:

  1. Die Performance von Indices wird von aktiv gemanagten Fonds langfristig nur selten erreicht, geschweige denn übertroffen. (Allein der DAX bewegt sich über ein paar Jahrzehnte hinweg gerechnet nahe der 10 % Rendite).
  2. ETFs benötigen kaum Aktivität vom Investor – und kaum Wissen. Es braucht nichts umgeschichtet, optimiert oder abgewogen werden, ständige Veränderungen im Portfolio und ständige “Halten oder Verkaufen”-Entscheidungen entfallen (für die man viel Wissen bräuchte).
  3. Die Performance der eigenen Geldanlage lässt sich sehr einfach anhand der offiziellen Indexhöhe ablesen, bei replizierenden ETFs ist sie exakt die gleiche.
  4. Da auch die Politik und die Wirtschaftslenkung die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen am Verlauf von bestimmten Indices misst, ist das Bestreben der offiziellen Lenker hoch, Indices möglichst nach oben weisen zu lassen.
  5. ETFs sind deutlich kostengünstiger als aktiv gemanagte Fonds (und werden, durch den Boom und die daraus folgende hohe Konkurrenz unter den Fondsanbietern sogar laufend noch günstiger).
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Allein diese 5 Vorteile machen den Boom natürlich verständlich. Im Grunde ist ein ETF durch seine Vorteile schon zu großen Teilen das, was sich Investoren als ideale Geldanlage erträumen. Und auch für Kleinanleger mit wenig Wissen über die Finanzmärkte scheint es zumindest die ideale “Set and Forget” Geldanlage zu sein.

Angesichts der Funktionsweise von ETFs, nämlich einfach nur das passive Reproduzieren eines Index-Verlaufs, muss man sich natürlich tatsächlich fragen, ob das nicht irgendwelche Auswirkungen auf die Märkte hat.

Die Theorie der höheren Volatilität

Einige Finanzexperten sind nun der Meinung, ETFs würden mit ihrer Marktmacht nun tatsächlich eine negative Wirkung auf die Märkte ausüben. Der Theorie zufolge soll durch die hohen Mittelzuflüsse in ETFs die Volatilität der Märkte stark steigen.

Die Erklärung, die dafür gebraucht wird, ist folgende: Bei steigenden Kursen würden den Fonds überproportional viele Mittel zufließen, was die Kurse weiter nach oben treibt. Bei einem Kursabschwung würde das genau umgekehrt der Fall sein und die Kurse stärker drücken.

Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht ist das zwar eine einigermaßen einleuchtende Theorie – aber eben nur ein theoretisches Konstrukt. Die Wirtschaft funktioniert in der Praxis selten so schnurgerade, wie Theorien das vorhersagen. Und in diesem Fall mag zwar der Mittelzufluss theoretisch recht groß sein, die Auswirkungen auf die Märkte bleiben aber dennoch gering. Das kann man aus eingehender Analyse auch erkennen. Selbst wenn (sehr kleine) Effekte eintreten, sorgt die dem Markt innewohnende Effizienz beinahe auf dem Fuße folgend für eine entsprechende Korrektur.

Der Einfluss auf die Märkte wird also höchstwahrscheinlich als (theoretisch) viel größer eingeschätzt, als er tatsächlich ist. Nach einer Studie der Credit Suisse halten Indexfonds weniger als 20 % der US-Aktien auf dem Markt – nicht gerade das, was man in der Praxis einen gefährlich großen Einfluss nennen würde. Eine Erklärung dafür ist unter anderem auch die hohe Zahl an synthetisch replizierenden Indexfonds – solche ETFs besitzen die im Index berechneten Aktien gar nicht wirklich, sondern lediglich Derivate davon, deren Performance aber bis auf eine Winzigkeit der der tatsächlichen Aktie gleicht. Für den Einfluss bedeutet das: Wer die Aktie nicht wirklich besitzt, richtet an ihrem Wert auch gar keinen Schaden an, weil er sie gar nicht auf den Markt werfen kann.

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Zudem muss man natürlich bedenken, dass gerade Anleger, die in ETFs investiert sind, bei einem Kursverlust gar nicht unbedingt ihre Papiere auf einen Schlag auf den Markt werfen und somit die Kursverluste anheizen würden. So viel aktive und so schnelle Reaktionen sind von ETF-Investoren einfach nicht zu erwarten, ein solches Szenario wäre in der Wirklichkeit höchst unwahrscheinlich.

Indexflut ist eher verwirrend als gefährlich

Viel bedenklicher ist da – was allerdings bis jetzt von niemandem explizit erwähnt wurde – möglicherweise die Fülle von verschiedensten Indices. Mehr als 3,7 Millionen gibt es aktuell davon – während gerade von den kleineren Anlegern kaum mehr als 50.000 verschiedene Aktien gehandelt würden. Damit lässt sich spekulieren, dass Indices wohl oft nicht so überschaubar sind und in ihrer Zusammenstellung vielleicht im einen oder anderen Fall Dinge miteinander kombinieren, zwischen denen es kaum mehr einen logischen Zusammenhang gibt. Manches ist dann bereits so exotisch, dass sich selbst Fachleute am Kopf kratzen und fragen, wie diese Dinge denn nun noch zusammen in einen Index finden – und was der Indexwert nun denn genau worüber aussagen soll. Bei einigen sehr exotischen Index-Konstruktionen wird die Antwort höchstwahrscheinlich tatsächlich “nichts über gar nichts” lauten. Aber da moderne Rechnerleistungen heute erlauben, deutlich mehr Indices laufend zu berechnen, als noch vor 10 Jahren, hat die Kreativität in der Indexrechnerei kaum mehr eine (technische) Grenze.

Problematisch würde es nur, wenn sich jemand auf solche exotischen Indices verlässt und daraus irgendwelche Erkenntnisse über tatsächliche Marktgegebenheiten zu gewinnen sucht – oder sie als Begründung für irgendwelche eher fraglichen Annahmen oder Aussagen benutzt. Dieses Risiko kann aber als eher gering eingeschätzt werden, da die etablierte Finanzwelt sehr wohl in der Lage ist, zwischen aussagekräftigen und weniger aussagekräftigen Indexwerten zu unterscheiden – und notfalls auch einmal die Aussagekraft eines “Exoten-Index” eher in Frage stellt und einmal mit anderen Wertentwicklungen gegenprüft, bevor sie sie bedenkenlos akzeptiert.

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Das Risiko besteht eher für den Anleger, der einen ETF auf einen Index erwirbt, dessen Aussage (und damit auch dessen Wertentwicklung) er überhaupt nicht versteht – weil sie gar nicht verstehbar ist. Die Dynamik solcher Finanzprodukte kann dann eher durchwachsen sein – ohne dass man das in irgendeiner Weise zuvor logisch abschätzen könnte. Auf die Märkte hat das aber jedenfalls keinen schädlichen Einfluss.

Die Schlussfolgerung

Irgendwelche Unkenrufe über die “gefährliche Marktmacht von ETFs” kann man getrost ignorieren. In sehr vielen Fällen kann man die Unkenrufer auch in die Nähe derer stellen, die ausgerechnet von aktiv gemanagten Fonds in irgendeiner Weise profitieren – was die Rufe insgesamt noch weniger glaubwürdig macht.

Am Ende bleibt es dabei: ETFs sind – wenn es sich um etablierte, große und liquide Indices handelt, auf denen der ETF basiert – immer noch eine der besten und sinnvollsten Anlageformen – besonders für Kleinanleger, die wenig Börsenwissen haben und keinen Willen, sich auf intensives Trading einzulassen. Daran ist ganz sicher nicht zu rütteln. Und einen schädlichen Einfluss auf die Märkte haben sie ganz sicher nicht – aber einen sehr positiven Einfluss auf die Anlagestrategien von vielen Menschen, die sich so nun doch endlich an die Börse trauen und dem nicht mehr profitablen Sparbuch endgültig den Rücken kehren.

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